geschrieben von Steffen R.
„Was machst Du hier? Ist doch albern! Dreh um.“ 1220km – ca. 12.000 Höhenmeter – 76 ¾ Stunden brutto – ca. 54 Stunden netto – <7 Stunden Schlaf
Ich bin ja bekannt dafür, bei jedem gröberen Unfug sofort unkontrolliert den Arm zu heben und sinnlos „hier, ich“ zu brüllen. So hatte ich irgendwann in 2018 die grandiose Idee „… machste mit … wat soll schon schiefgehen …“.
Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich nur eine grobe Vorstellung davon, wie zeitintensiv allein das Zulassungs- bzw. Anmeldeprozedere für PBP sein wird. Einfach einen Startplatz zu erwerben ist nämlich nicht vorgesehen. Um überhaupt anmeldeberechtigt – noch nicht startberechtigt – zu sein, muss im Jahr vor PBP mindestens ein offizielles Brevet über 300, besser 400 oder 600 km absolviert werden. Mit entsprechender Teilnahmebestätigung ist folgend überhaupt erst eine Anmeldung unter Vorrangbehandlung längerer Strecken möglich. Im Jahr der Veranstaltung gehört zur Startberechtigung die zwingende Teilnahme an je einem 200, 300, 400 und 600 km Brevet.
Man kann dann im Vorfeld zahllose Berichte zu Paris-Brest-Paris lesen in denen das Leiden, der Schlafmangel aber auch der Genuss im Mittelpunkt stehen. Ich habe wirklich die meiste Zeit auf dem Rad genossen, vielleicht 200km in Summe hatte ich keinen Spaß am Radeln – kein schlechter Schnitt auf 1220. Irgendwo bei 300 km hatte ich kurz den Gedanken umzudrehen. Alles fühlte sich total albern an. Und wenn ich jetzt umdrehe, könnte ich abends im schönen Bett liegen und nicht zwischen 200 anderen stinkenden Randonneuren in einer Sporthalle am Tisch mit dem Gesicht in der Suppe schlafen. Aber der Gedanke verflog und körperliche Probleme gab’s zum Glück auch keine nennenswerten.
Der größte Dank gilt sowieso den Bretonen und Normannen und alle den anderen die da zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten am Straßenrand stehen und uns ihr „courage“ zurufen und selbst zu Nachtzeiten für Kaffee und Croissants sorgen. Allein die schiere Menge an Volontären, die an jeder Kontrollstelle umherwuselten und dafür Sorge trugen, dass die teils vollkommenen verwirrten und übermüdeten Fahrer ihren Stempel, etwas Essen und notfalls ein wenig Schlaf bekamen war beeindruckend.
Etwas mehr Details? Bitte sehr …
(ich
bekomme die genauen Kilometerstände nicht mehr so richtig
aufgedröselt)
Nacht 1:
Meine Startzeit ist irgendwie ziemlich unglücklich. 19:45 Uhr -also gerade noch bei Tageslicht starten und direkt in die Nacht fahren. Das Fahren in der Nacht finde ich eigentlich recht entspannend – aber ob mein Tag/Nacht-Rhythmus das durchfahren zulässt? Nein! Ließ er nicht.
Irgendwann um 3 war ich doch so müde, dass ich in einer Kontrollstelle ein schnelles Nickerchen am Tisch machen musste. Schnell was essen, Wecker im Handy auf 1 Stunde gestellt und Kopf runter. Das ging erstaunlich gut.
Was mir an den ersten Kontrollstellen schon auffiel und meinen weiteren Plan etwas korrigierte: Die komplette Logistik um „Rad abstellen – Stempel holen – Flaschen auffüllen – Essen organisieren“ ist an den Kontrollstellen extrem zeitintensiv. Ich versuchte meinen Aufenthalt in den folgenden Kontrollstellen auf das Nötigste zu reduzieren und vor allen Dingen die Nahrungsmittelbeschaffung wurde auf geeignete Stellen auf freier Strecke zu verlegen.
Tag & Nacht 2:
Heute wollte ich mindestens bis Brest, also dem Wendepunkt kommen. Das wären 470 km Distanz.
Die Strecke wird nun immer windiger und wir bekommen stetigen Westwind – also Gegenwind. Nebenher ist die Nacht verdammt unangenehm. Der Garmin zeigt konstant 8 – 9°C an, bei der feuchten, nebeligen Luft ist das nicht sonderlich angenehm und ich ziehe alles an, was ich irgendwie dabei habe. Am Vormittag ziehe alles wieder aus, es wird deutlich über 20°C warm.
Dieses ständige an-, um- und ausgeziehe nervt und kostet Zeit. Nebenher beschlägt die Brille andauernd im Nebel. Da ich diesmal aufgrund der Streckenlänge ohne Kontaktlinsen unterwegs bin, ist das extrem nervig – mit oder ohne Brille, so sehe ich nur verschwommene Punkte.
Ich genieße nun die immer häufigere Einsamkeit. Lust zu quatschen habe ich eh nicht.
Mein Magen will nix Süßes mehr, das bremst mich dann doch etwas aus. Muss ich halt öfter mal in einer Bäckerei halten, da gibt es in Frankreich schlimmeres…
Mittlerweile liegen überall – wirklich überall – irgendwelche Radfahrer rum und schlafen. Auf Verkehrsinseln, in Vorgärten, unter Brücken, in Bushaltestellen …
Ich komme nicht mehr bis Brest und muss irgendwo bei km 500 für einige Stunden ruhen.
Tag & Nacht 3:
Irgendwo vor Brest muss noch dieser „Berg“ sein, Roc’h Trévezel mit immerhin 384m Höhe. Jeden (bissigen, gemeinen!) Anstieg frage ich mich „isser das jetzt endlich?“ Oben angekommen hoffe ich auf lockeres Rollen bergab bis Brest – was zuerst auch ganz gut klappt, aber vor Brest wird’s noch mal gemein mit vielen kleinen, bösen Stichen.
Eigentlich ist die Topographie zwar im Allgemeinen eher flach – aber 12.000 Höhenmeter kommen nicht von ungefähr. Die komplette Strecke ist eigentlich eine Aneinanderreihung kleiner Kuppen. Bei jeder Sonntagsrunde kein Grund zum jammern, einfach durchdrücken und gut. Hier wird das ganze irgendwann mühselig. Und überhaupt, mit Stahlrahmen und dem ganzen Gepäck bin ich nicht gerade im Bergtrimm unterwegs.
Ich kehre in Brest direkt die Rückreise an und versuche soweit wie irgend möglich Richtung Paris zu kommen. Irgendwann werde ich unfassbar müde und plane an der nächsten Kontrollstelle einen gut 3 stündigen Schlaf. Das klappt auch ganz gut.
Tag & Nacht 4
Es bleiben heute ca. 450 km bis zum Ziel in Paris, wobei das ja gar nicht in Paris ist – Start und Ziel sind 2019 in Rambouillet bzw. dem dortigen Schloss.
Ich rolle los und denke nach gut 2 Stunden, dass es wohl Zeit für Kaffee und Croissant ist. Die ersten Bäckereien machen auf und so stelle ich mein Rad an einer ab, setze mich hinein und trinke meinen Kaffee … nur um mich folgend – knapp eine Stunde später – schlafend und vollgesabbert neben der halbleeren Tasse Kaffee wiederzufinden. Beim Kaffeetrinken eingeschlafen …
Die nette Bedienung grinst mich an und gibt mir zu verstehen, dass das schon in Ordnung ist und ich gern noch einen Kaffee auf Kosten des Hauses von ihr erhalte. Schon bin ich wieder glücklich. Der Kaffee wirkt leider nur kurz – aber es wird mittlerweile hell und mein Tag/Nachtrhythmus lässt mich wach werden.
Der Tag ist im Prinzip ein einziges Fahren – Essen – Fahren – Essen, die einzelnen Etappen verschwimmen irgendwann miteinander und immer wieder finden sich Gruppen zusammen, die sich an den Kontrollen oder größeren Hügeln wieder trennen.
Als es Nacht wird, habe ich Sorge das sich das nicht ausgeht und ich die letzten 50 Kilometer nicht mehr ohne Pause ins Ziel schaffe.
Nur noch eine Kontrolle, 2 letzte Etappen. Ich bin schlecht gelaunt und habe keine Lust auf Begleitung.
Die letzten Kilometer sind Genuss. Absoluter Genuss.
Es ist nun 0:30 Uhr und es wird städtischer. Rambouillet ist bereits ausgeschildert.
Das Ziel ist leider eine ziemliche Antiklimax, an jeder Kontrolle wurde man herzlicher begrüßt. Ein letzter Stempel und das war’s, geschafft!
Fahre ich in 4 Jahren wieder? Keine
Ahnung. Spontan: Danke nein!
Inzwischen mit einer Wochen Abstand
sieht’s anders aus, wie üblich kommen die ersten Gedankenspiele
auf. Und man könnte ja mal versuchen wie schnell man sein kann,
nachdem man ja die „Zeitfresser“ kennt.
P.S. Ich bin für neuen Unsinn zu haben 😊